Der Vertriebstrainer muss sich wundern…
Alle drei Jahre ist es soweit – das neue Dienstfahrzeug muss her. Ich überspringe an dieser Stelle alle desaströsen Erfahrungen hinsichtlich der Beratungskompetenz von Premiumanbietern. Nein, dies wäre zu leicht, zu banal, zu erwartet.
Man glaubt gar nicht, was heutzutage technisch alles möglich ist, alles UNHEIMLICH nutzbringend für den geneigten Kunden. In blumigsten Worten, mit geschult-erdachten Szenarien („Stellen Sie sich vor…“) werden bisher unbekannte Möglichkeiten und Dienste angepriesen und genau in meine Welt transportiert. Ich habe in der Tat das Gefühl, dass dieses Fahrzeug nun endgültig die Lösung all meiner Probleme darstellt.
Der Tag der Auslieferung naht und der Trainer Sebastian Kattner spürt – wie soll ich sagen: Er antizipiert bereits, dass Unheil droht. Deshalb der wohlwollende Anruf beim ausliefernden Partner des hochgepriesenen Premium-Herstellers: „Wenn ich nächste Woche das Auto abhole, dann brauche ich keine Einweisung, wie der Wagen auf- und zu zu schließen ist oder wie die elektrischen Fensterheber funktionieren. Können wir alles skippen. Ich brauche intensive Einweisung in die Online-Dienste und deren Möglichkeiten, die ich dann nutzen kann. Ich bringe alles mit, was Sie benötigen – SIM-Karte, Daten Flatrate und ich möchte, dass diese Karte lediglich für den Datentraffic verantwortlich ist und ich „Voice“ manuell über mein Telefon administrieren kann.“
Untergang.
Volltreffer.
Ich kann das Entsetzen durch die Telefonleitung sehen.
So hört sich also Verzweiflung an.
Reaktion des Verkäufers: „Herr Kattner, da gehen wir schnell drüber – die meisten Sachen muss mann sowieso selber erfahren und ausprobieren…“
Es kam, wie es kommen musste: Der Tag der Auslieferung, die Mobilfunkkarte meines Netzbetreibers wurde installiert und eine Feierstimmung wie nach einem Endspielsieg der Fußball-Weltmeisterschaft, als die Information des Netzempfangs auf dem Bildschirm meines Bordcomputers auftaucht.
„Funktioniert alles, gute Fahrt!!“
Was soll ein Kunde an dieser Stelle tun, welche Möglichkeiten hat er? Eskalieren, ja, auf sein Recht bestehen, eine kompetente und ausführliche Einweisung in sein 85.000€-Fahrzeug zu bekommen. Doch wenn der Kunde das sichere Gefühl hat, dass die ansässigen Mitarbeiter diese Erklärungen nicht liefern KÖNNEN, wenn zudem die Aussage erteilt wird, dass wir nun langsam zum Schluss kommen müssten, da direkt im Anschluss ein SUV bereits zur Auslieferung bereit steht und der Kollege mitsamt Kunden bereits wartet, dann hisst der bemitleidenswerte Kunde nachvollziehbar die Fahne…
Doch wir leben ja heutzutage in nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, die Hersteller sind so unfassbar bemüht um die Zufriedenheit der Kunden – vertrauen wir doch einfach mal darauf.
Initialzündung war der Anruf eines Freundes, der erfuhr, dass ich dieses Dienst im Fahrzeug verbaut habe: „Weißt Du eigentlich, was damit alles möglich ist?? Du kannst…“ – Und dann begann eine schier endlose Aufzählung, die den Vertriebstrainer sehr nachdenklich machte. Einmal entfacht machte sich Sebastian Kattner gleich daran, über das Internet mehr zu erfahren und wurde nachhaltig bestätigt – dieser Dienst leistet richtig nutzbringende Dinge für mich.
Was tun? Ich brauche nun jemanden, der mir diese Möglichkeiten erklärt. Das ausliefernde Autohaus scheidet schon mal aus – die wissen es auch nicht so genau. RUFEN WIR DOCH MAL DEN KUNDENSERVICE DES PREMIUM HERSTELLERS AN – der ist doch immer so bemüht und fragt immer, ob es mir auch gut geht! Vielleicht haben die ja eine Lösung für mich…
Gesagt getan. Gekürzt: „Kattner mein Name, ich habe vor zehn Tagen mein Fahrzeug abgeholt und stelle gerade fest, dass zwischen dem, was mir bei der Auslieferung vermittelt wurde und dem, was das Fahrzeug zu leisten imstande ist ein Graben existiert, der vergleichbar mit dem Mariannengraben ist. Ich möchte niemandem die Zeit stehlen, dennoch denke ich, dass diese Einführung nicht den Ansprüchen eines Premiumherstellers genügt.“
Betroffenheit.
Aktives Zuhören.
„Hm, Herr Kattner, das ist natürlich nicht wünschenswert. Da empfehle ich Ihnen, dass Sie sich nochmals mit dem Autohaus in Verbindung setzen, um in einem Folgetermin dies nachzuholen.“
Hier tritt wieder einmal schonungslos zutage, wie wichtig es ist als Kundenberater, auch „zwischen den Zeilen“ zu lesen. Wie groß ist die Motivation eines Kunden, diesen Weg einzuschlagen? – Der Trainer wählt eine andere Strategie: „Vielen Dank für Ihre Anregung, doch der ausliefernde Händler ist 630 Kilometer entfernt. Ich denke nicht, dass an dieser Stelle Kosten und Nutzen in einem gesunden Verhältnis stehen.“
Ich spüre, dass dieser Einwand dem Kundenbetreuer weh tut, da nun die kreativen Grenzen des Kundenbetreuers nicht mehr zu verheimlichen sind: „Na ja, dann wird es schwierig, weil ja die Partner an Ihrem Standort das Fahrzeug nicht ausgeliefert haben. Vielleicht können Sie trotzdem dort vorstellig werden und dem dortigen Partner wenigstens zusagen, dass Sie das H´Fahrzeug dort regelmäßig zur Inspektion geben. Das könnte das Autohaus vielleicht motivieren. Alternativ gebe ich Ihnen folgenden Tipp:“
Jetzt kommt’s.
Erwartungsschwangere Stille.
Adrenalin.
„Unter www. my… .de finden Sie ganz tolle Informationen. Das ist eigentlich ganz selbsterklärend.“
Nochmals zur Vertiefung, damit es auch den Maulwürfen unter uns deutlich wird: Ich habe vor zehn Tagen für 85.000€ ein Fahrzeug gekauft und bekomme jetzt eine Internet-Domain, um zurecht zu finden. Ist das nicht eigentlich die Strategie von Discount Anbietern?
Hier tritt nun wieder die früher bereits zitierte Terrier-Mentatlität des Vertriebstrainers Sebastian Kattner ein, die schon so oft wertvolle Dienste geleistet hat. Der Hersteller hat doch eine glorreiche Hauptstadt-Repräsentanz! Imagepflege pur, hier steht nur die Marke Vordergrund, eine Begegnungsstätte, in der Kunden die Marke erleben, fühlen sollen. Kunden bekommen Leder-Exponate gereicht, damit die Kinästheten unter uns ein gutes Gefühl haben, quadratische Exemplare mit der jeweilig gewählten Lackfarbe, damit die visuell veranlagten entspannen können – kurz: Ein Tempel der Kundenorientierung.
Kattner hat Glück, dies wird sein Moment: Er hält direkt vor dem Eingang des Tempels mit dem Objekt der Unwissenheit. Rein in die heiligen Hallen, zwei erwartungsvolle jungdynamische Menschen strömen Premium aus. Ich erkläre in kurzen Worten meine Situation und:
So wird’s gemacht! „Herr kattner, gut dass Sie direkt mit dem Fahrzeug hier sind. Ich hole Ihnen direkt unseren Fachmann für dieses Thema. Der begleitet Sie dann direkt in Ihr Fahrzeug.
So sehen Sieger aus.
Was jetzt kommt ist ungekürzt: 30 Sekunden nach Alarmierung kommt ein leichtfüßiger Enddreißiger die Treppen heruntergetippelt:
„Sie sind Herr Kattner und benötigen Infos zu den Online Diensten in Ihrem Fahrzeug?“
„Ja, vielen Dank für Ihre Zeit.“
„Ich habe fünf Minuten für Sie, dann möchte ich in meine Pause gehen.“
Manchmal kommen die Gegner in Momenten, in denen man sie nicht mehr vermutet…
„Ich nehme alles, was Sie mir geben können…“ Der Blick ist an dieser Stelle bereits nach unten geneigt.
Nach einigen Basisinformationen ergibt sich nach fünf (!) Minuten folgendes Szenario: Drei kollegiale Vertreter der Hauptstadt-Repräsentanz stehen versetzt rechts vor der Frontscheibe meines Fahrzeugs und sehnen in Erwartung der Mittagspause nach ihrem Kollegen, der neben mir auf dem Beifahrersitz leidet.
„Dann machen wir an dieser Stelle mal Schluss – ich sehe ja, dass die Kollegen bereits warten.“
„Alles klar, schönes Fahrzeug haben Sie da gekauft!“ – Und raus.
Ohne Worte.
Prolog:
Liebe Hersteller, ihr könnt entwickeln, was ihr wollt. Ihr könnt innovativ sein, immer neue Möglichkeiten anbieten. Wenn ihr es nicht schafft, das Personal auf die veränderten Nutzung auszurichten, wer soll denn diese tolle neue Welt kaufen?
Ich brauche keine Anrufe im After Säle Prozess, in denen mir traurige Stimmen versichern, wie betroffen sie sind, dass „das alles nicht so gut gelaufen ist“. Ich brauche keine Hochglanz-Prospekte, die offerieren, das die heile Welt genau in diesem Fahrzeugmodell gelandet ist.
Was kaufen die Kunden der Zukunft? Elektrische Fensterheber? Einstellmöglichkeiten einer Heckklappe?
Neue Dienste?
Der Anspruch auf begeisternde Produkte und Dienstleistungen scheitert immer häufiger am Menschen, der die Brücke zum Kunden schlagen soll.
Warum?
Weil an dieser Stelle allzu häufig eingespart wird oder fehlerhaften Konzepten gefolgt wird.
Die Gefahr ist, dass technische Innovation das menschliche Potential in den eigenen Reihen überholt und am Ende kein Mensch mitgenommen wird. Aber das ist doch eigentlich der Grundgedanke der Mobilität oder?